Tuesday, January 5, 2010

Südkurier (5.1.): Rezension von "Critical Distance"

(exhibition review from Suedkurier - German only)

Neue Ausstellung in der Galerie Vayhinger in Radolfzell-Möggingen

Die Heimat ist für den Menschen eine Begebenheit, die immer schon vor ihm existiert. Sie wird als eine Realität wahrgenommen, in der es eine vorgegebene Landschaft und eine bestimmte Kultur gibt, in der sich immer wiederkehrende soziale Grundmuster von „Einheimischen“ etabliert haben. Und trotz dieser sich reproduzierender Strukturen, die für die dort hineingeborenen Menschen eine gemeinsame gesellschaftliche Basis bilden, kann der Heimatbegriff eine individuelle Bedeutung annehmen.

Die Galerie Vayhinger in Möggingen beschäftigt sich seit eineinhalb Jahren mit der Bedeutung des Heimatbegriffs, wie auch seit geraumer Zeit der Künstler Daniel Blochwitz. Dessen biografischer Hintergrund – in der DDR aufgewachsen und heute in New York lebend – gibt den Ausschlag dafür, ihn mit den biographischen und künstlerischen Kontexten von Otto Dix und Erich Heckel zu verbinden. Der daraus entstehende Dialog zwischen Ost und West wird somit auch zu einem Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

In der derzeit ausgestellten Fotoserie „Critical Distance – a perpetual absence of home“ geht es Daniel Blochwitz um Heimatfindung. Seine Heimat, die ihn in der Kindheit und Jugend geprägt hat, gibt es nicht mehr. Der Begriff der Heimat löst sich hiermit in gewissem Maße von der Bedeutung einer vorgegebenen und feststehenden Realität. Durch den Prozess der Suche nach einer Heimat als nach-gelagerten und reflektierten Prozess, eröffnet sich eine neue Dimension von Heimat. „Mich beschäftigt also die Frage, wo und wie man sich zu Hause fühlt.

Und ob Heimatsuche, frei nach Ernst Bloch, einen katalysatorischen Effekt für progressive-emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung haben kann. Ich denke, ja“, erklärt Daniel Blochwitz. In seinen Fotografien steht die Sprache im Vordergrund, die er philosophisch verarbeitet.

Mit seinen Bildausschnitten entreißt er visuellen Zitaten, sei es ein Werbeslogan auf einem Plakat, ein Graffiti in einem Hinterhof oder das Titelthema eines Magazins, welches er an einem Kiosk fotografiert, ihren ursprünglichen Kontext. In seinen projektbezogenen Arbeiten kommt es häufig zu Gegenüberstellungen von Zitaten und subversiv-semantischen Anspielungen. Erschließen lassen sich diese meist nicht aus den Einzelbildern, sondern aus der Serie und ihren Wechselwirkungen von Zeichen und gefundenen Texten. Daniel Blochwitz zeigt die Welt als ein offenes Buch, welches er durch zeitkritisches Hinterfragen erweitert.

In Verbindung mit Otto Dix und Erich Heckel werden hier biografische Hintergründe von Künstlern als Weltenwandler genau in Augenschein genommen. Daniel Blochwitz ist im Osten geboren und aufgewachsen und lebt heute in New York. Otto Dix ist im Osten geboren, hat sich 1937 am Bodensee niedergelassen und ist seither zwischen Ost- und Westdeutschland gependelt. Erich Heckel ist ebenfalls im Osten geboren, kam vor Kriegsende 1944 an den Bodensee und blieb bis zu seinem Tode.

„Die Biographie eines Künstlers ist werkimmanent. Wenn ein Künstler zwischen zwei Welten wandert, greift dies in seine Ausdrucksweise hinein, wie bei Otto Dix vor allem in seinem Spätwerk sichtbar wird“, erklärt Galeristin Helena Vayhinger. Der Heimatbegriff schien für Otto Dix keinen Ortsbezug zu beinhalten, vielmehr waren es die für ihn wichtigen Menschen, die ihm das Gefühl von Heimat vermittelten. Aus den Werken von Erich Heckel ist herauszulesen, dass sowohl die Menschen als auch die Landschaften seine Interpretation von Heimat bestimmten.

Die semiotische Interpretation von Heimat bei Daniel Blochwitz schärft die Wahrnehmung des Rezipienten von alltäglicher Sprache und ihrer scheinbaren Ortsgebundenheit. Auf mehreren Ebenen trennt er Raum von Zeit. Mit der Fotografie als Medium und dem Triptychon als Methode löst er Zeichen vom jeweiligen Kontext und bettet sie neu ein. Die Heimatsuche beziehungsweise Heimatfindung stellt sich somit als ein sich ständig wiederholender Prozess dar.

Suzanne Glocker
suedkurier.de

Galerie Vayhinger, Radolfzell-Möggingen. „Critical Distance“ mit Belegen von Otto Dix und Erich Heckel. Bis 30. Januar. Mi bis So, jeweils von 14 bis 20 Uhr. Infotel.: 07732-10055.